, 30. Juli 2015
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Flanieren am Union

Rambla, Boulevard, Piazza – St.Gallen ist nicht gerade gesegnet mit Fussgänger-Oasen dieser Art. Dabei gäbe es Platz dafür: zum Beispiel am Union. Statt einer Parkhaus-Einfahrt.

Ja: Das Titelbild zeigt den Oberen Graben. Nein: nicht jenen in St.Gallen, sondern in Winterthur. Spiel-, Flanier- und Debattiermeile: So könnte das sein.

Am Oberen Graben in St.Gallen pulsiert der Verkehr, und an dessen nördlichem Ende teilen sich nicht nur fünf Strassen, sondern auch die Meinungen: Die Cityparking AG plant hier das Parkhaus Union plus, die Opposition macht mobil, mindestens fünf Einsprachen sind deponiert worden. Es geht um Platanen, um den befürchteten Mehrverkehr und den Widerspruch zur Städteinitiative, welcher die Bevölkerung im März 2010 zugestimmt hat – mehr zu den Einsprachen hier.

Es geht dahinter um die Grundsatzfrage, wieviel Bewegungsraum der motorisierte Verkehr haben soll – und wieviel der flanierende, stadtbewegte Fussgänger-Mensch. Der Unionplatz hat es in dieser Frage in sich – wenn er denn ein Platz wäre. Das ist er nicht, aber er könnte es sein.

Vom Auffüllen der Gräben

Geht man weit genug zurück in der Stadtgeschichte, dann stand hier ein gewaltiger Torturm und duckten sich die mittelalterlichen Häuserreihen daneben. Das Schibenertor war nach dem Brühltor eins der ersten Stadttore, das 1837 geschleift wurde. Bis 1879 (Spisertor) fielen mit Ausnahme des Karlstors alle Stadttore, die Stadtgräben wurden aufgefüllt, aus Gräben wurden Strassen beziehungsweise, bei dem damals noch geringfügigen Verkehr: Stadträume.

Die nachstehenden Aufnahmen vom Schibenertor um die Jahrhundertwende und bis nach dem Zweiten Weltkrieg lassen erahnen, dass da tatsächlich reichlich Platz war. Zwar waren im Verlauf des 19. Jahrhunderts die westlich angrenzenden Quartiere in klassizistisch strengen Carrées überbaut worden: das Frongarten-Quartier, die Webersbleiche und später die bahnhofwärts angrenzenden Strassenzüge. Zur historischen Altstadt halten diese Überbauungen aber bis heute einen respektvollen Abstand.

Wie grosszügig hier Stadtraum sein könnte, zeigen die Bilder des Schibenertors oder Unionplatzes aus der historischen  Fotosammlung Zumbühl, in der Kantonsbibliothek Vadiana und digitalisiert in deren Katalog zu finden. Bilder für Nostalgiker, zugegeben – noch fehlen Autos auf den Aufnahmen fast völlig, selbst auf der jüngsten, 1953 nach der Fertigstellung des neuen Union-Gebäudes entstandenen.

Zur Orientierung: Bild 1: Alte Union 1880. Bild 2: Unionplatz mit Trambahn 1897. Bild 3: Schibenertor Richtung Blumenbergplatz, 1948. Bild 4: Union vom Oberen Graben her (Blick auf das heutige Café Süd), vor 1950. Bild 5: Altes Union-Gebäude 1950, vor Abbruch. Bild 6: neues Union-Gebäude 1953.

 

Der Traum vom Strassenbistro

Tempi passati? Nicht zwingend, zumindest wenn es nach den Opponenten der geplanten Parkgarage Union plus geht. Hans-Ueli Stettler, einer der Einsprecher gegen das Garagenprojekt, hat schon vor zwei Jahren für «eine kleine bescheidene St.Galler Rambla statt einer Garageneinfahrt» plädiert. Und die Vision bildlich illustriert:

stettler2

 

Vergleichbare Beispiele liessen sich in Metropolen finden, aber auch in Mittelstädten wie Winterthur, siehe oben – oder im südfranzösischen Örtchen Le Vigan mit seiner bistrobewehrten, leicht erhöhten Mittelachse. Links und rechts pulsiert auch hier der Verkehr – aber dazwischen hat der Mensch Platz:

levigan

 

 

 

1 Kommentar zu Flanieren am Union

  • […] Und wieder wird ein Stück Grünfläche weniger im innerstädtischen Asphaltmeer für kommerzielle Zwecke. Für Privatgewinne finanziert durch sozialisierte Kosten. Als hätte es direkt vor der Hütte nicht eine 4-spurige Strasse. Aber die ist im Gegensatz zu dieser ökologischen Nische natürlich unantastbar. Gab es da nicht mal diverse Vorschläge von einer Rambla? […]

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